Ich bin nicht mit Canis verheiratet. Aber ich liebe Canis und die Menschen die dazu gehören. Mein erstes Seminar bei Canis, die (damals noch 9-tätige) "Praktische Woche", fand statt in 2003. 4 Jahre später, in 2007, kurz vor der Abschlussprüfung, habe ich dann endlich das Pflichtprotokoll geschrieben. Es wurde eine Liebeserklärung. Heute, noch einmal 5 Jahre später, habe ich es wieder gelesen. Ich möchte es teilen, mit allen Menschen die sich dafür interessieren was Canis bedeutet und wie bei Canis gearbeitet wird. Ich möchte das Versprechen erneuern. Es ist lang - weil es so viel gibt das mich beeindruckt hat, gerührt hat, geprägt hat. Ich bin so dankbar dafür.
Protokoll
“Praktische
Woche”
01.05.2003 –
09.05.2003
Marian Lamp
Hülmer Deich 98
47574 Goch
Einführung
Ein Protokoll eines Praktikums 4 Jahre später schreiben –
ist das schlau? Vielleicht weniger. Erst einmal dieses Suchen nach den
Aufzeichnungen. Der Angstschweiss bei der Vorstellung sie vielleicht garnicht
mehr zu finden - vier Jahre, ein Umzug und mein ewiges Chaos?
Dann: gefunden – und schneller als ich dachte. Irgendwann
eine Ordnungsphase durchlebt, befürchte ich.
Beim Lesen meiner Aufzeichnungen kommen mir die Tränen. Und
weiss ich: dies ist genau der richtige Moment dieses Protokoll zu schreiben. So
hat alles angefangen; beim Anfang der praktischen Woche wusste ich noch nicht
einmal dass es ein CANIS-Studium gab und jetzt nähere ich mich dem Ende des
Studiums. Alles wird rund...
Ich schreibe ein Erfahrungsprotokoll und folge meinen
Aufzeichnungen. Was wir genau gemacht, besprochen haben, finde ich nicht so
wichtig als meine Gedanken und Gefühle dazu.
Die Schellen die mir von den Augen gefallen sind und immer
wieder die Erleichterung die ich fühlte. Die Last, die ich fühlte im
Zusammenleben mit meinen Hunden und die sich veränderte in Leichtigkeit – aber
nie in Oberflächlichkeit, im Gegenteil.
Im Folgenden werde ich pro Tag beschreiben, was gemacht und
welche Themen behandelt wurden und dabei die Sachen benennen, die mich
beeindruckt haben – denn die habe ich aufgeschrieben.
Abschliessend beschreibe ich was ich in der praktischen
Woche gelernt habe und welche Veränderungen ich am Ende dieser 9 Tage an meinen
Hunden wahrgenommen habe – und die Sachen die ich nie vergessen werde...
1. Tag
Ca. 25 Menschen mit noch mehr Hunden in einem Raum. Wenn das
man gut geht...
Viele Hunde sind unruhig, meine auch. Vor allem Scotty
piepst wenn er sich langweilt. Jeder Teilnehmer und die Seminarleitung (Nadin
und Michael) stellt sich vor. Alle Teilnehmer erzählen warum sie dieses
Praktikum machen, was sie für Hunde haben, was sie von diesem Praktikum
erwarten.
Alles überschattend ist die Krankheit und der sich näherende
Tod von Erik Ziemen. Ich hatte mich eigentlich für dieses Praktikum angemeldet
weil er es leiten sollte. Erst kurze Zeit vorher erfuhr ich dass er krank war.
Zu Beginn der praktischen Woche hiess es noch, Erik würde im Laufe der Woche
doch kommen, wenn auch nur kurz. Leider war sein Zustand dann aber schon zu
schlecht. Nadin, Michael und Bettina fahren regelmässig zu Erik. Sind hier und
dort gleichzeitig. Sind voll für uns da, trotz aller Trauer. Chapeau.
Die Regeln werden besprochen. Mit dem Aufräumen des
Hundekots und dergleichen kann ich gut leben. Dann aber: Die Hunde im Raum
bitte nicht anfassen und nicht mit ihnen sprechen. Draussen bitte nicht
füttern, d.h. keine Leckerlis.
Hilfe! Ich tue nichts anderes als Scotty zu streicheln, um
ihn vom Fiepen und Piepsen
abzuhalten! Und Lucy stellt sich immer aufrecht gegen mich und kratzt
mit der Pfote in meinem Gesicht, wenn sie sich langweilt. Wie soll denn das
gehen? Ich werds abwarten, mal sehen wie es läuft.
Die von Michael und Nadin aufgeworfene Frage „wo bleibt der
Spass“, taucht an diesem Tag zum ersten Mal auf und wird sich zu einem Motto
dieser praktischen Woche entwickeln...
2. Tag
An diesem Tag wird vor allem vorgetragen und finden keine
praktischen Übungen statt. Das Thema ist „Erziehungskrise“, zwischendurch wird
spazierengegangen. Die historische Entwicklung der Hundehaltung von Nutztier
zum sozialen Partner wird besprochen. Als Beispiele werden Familienhunde und
Hunde von älteren Menschen genannt, wobei für die letzteren der Hund einen sehr
hohen therapeutischen Wert hat. Das Sich-einfügen als hochwertiger
Sozialpartner in unsere sozialen Strukturen inklusive aller Erwartungen die
dieses mit sich bringt, fragt vom Hund ein enormes Anpassungsvermögen.
Aus dem hohen emotionalen Stellenwert des Hundes in unserer
Gesellschaft folgt z. B. die enorme und immer noch wachsende Industrie rundum
das Thema „Zentralbespassung“. Ebenfalls werden Hunde nicht begrenzt und wird
ihr (störendes) Verhalten entschuldigt, zum Beispiel damit dass der Hund früher
mishandelt wurde. Hunde fallen dadurch öfter als in früheren Zeiten negativ auf
und man bekommt den Eindruck dass es immer mehr Hunde gibt. Nichts ist weniger
wahr: vor dem ersten Weltkrieg gab es in Deutschland mehr Hunde als jetzt.
Als Beispiel werden Hunde aufgeführt aus Rumänien, denen
manchmal ein Teil von einem Ohr fehlt. Dort ist aber das Koupieren von einem
Ohr ein Zeichen dass der Hund jemand gehört. Und diese Hunde werden oftmals von
Tierschützern eingefangen und landen dann als ‚misshandelte Hunde’ in deutschen
Tierheimen...
Begrenzung des Hundes ist Voraussetzung dafür, dass dem Hund die grösst
mögliche Freiheit gewährt werden kann. Soziales Management, versus Tricks
anlernen. Die Ursache vieler Probleme die Menschen mit ihren Hunden haben ist,
dass der Mensch verlernt hat unmittelbar zu handeln, ohne erst drei Bücher
gelesen zu haben. Dieses Thema kommt später, am 5. Tag, wieder zurück.
Die grössten Probleme mit Hunden liegen im Bereich der
Aggressionen und des Jagens. Dies könnte man vergleichen mit Gewalt und
Diebstahl bei Jugendlichen.
Angst vor Aggressionen bestimmt und beschränkt das Leben von
Menschen mit einem aggresiven Hund enorm. Beim Spazierengehen, in sozialen
Kontakten, in ihrer Tageseinteilung. Manchmal 15 Jahre lang, der Dauer des
Hundelebens.
Immer wieder wird der Nachdruck gelegt auf die soziale
Erziehung versus dem formalen Anlernen von Sachen wie Sitz, Platz usw. und auf
die Notwendigkeit der Begrenzung. Dem Hund etwas anlernen ist etwas anderes als
das Gehorsamen des Hundes nach dem Lernen.
Über Hundebücher: es gibt keine Wahrheit. Kein Mensch
gleicht dem Anderen und jeder muss sein eigenes Buch schreiben.
Über das Festhalten an Belohnen nach dem Anlernen: ist
unnötig und sagt dem Hund etwas aus über unsere Beziehung. Der Vergleich wird
gezogen mit einem 10-jährigen Kind das den Tisch deckt – da gerät man auch
nicht völlig aus dem Häuschen, es ist eine Selbstverständlichkeit geworden.
Oftmals wird auch gesagt: Menschen würden auch nicht arbeiten ohne Belohnung.
Ich habe das auch immer geglaubt. Nur: bin ich der Arbeitgeber meiner Hunde?
Oder wäre der Vergleich mit Mutter und/oder Lehrerin besser? Ich habe keine
Fabrik, ich habe eine Familie...
Wir bekommen eine Hausarbeit: den Hund mal weniger beachten.
Oft verändert sich schon etwas dadurch, dass man Sachen nicht macht. In der
übrigen Zeit sollen wir dem Hund mehr Aufmerksamkeit geben, gerade wenn er
nicht darum fragt. Ich bin gespannt...
Über Willekür und die so oft geforderte Konsequenz in der
Hundeerziehung, die mir so schwer fällt: Unter Hunden ist Willekür normal und
wird eingesetzt um Rangordnungsverhältnisse zu klären. Hund braucht keinen
Grund um etwas zu machen oder zu beanspruchen, man macht es schlicht und
einfach „weil man es machen kann“.
Über Separationsfrustration versus Separationsangst: Hunde
mit Separationsangst kommen meist nicht in die Praxis – sie leiden in aller
Stille, aber leiden echt. Die Hunde die nicht gelernt haben Frustration zu
vertragen, machen Lärm und machen Sachen kaputt.
Über Tierheimhunde heute: Das sind hauptsächlich sozial
nicht-erzogene Hunde zwischen 3 und 7 Jahren alt.
3. Tag
Das heutige Thema ist „Leinenführigkeit“. Dieser Begriff ist
für mich, als Holländerin, von einer gewissen Geheimsinnigkeit umgeben. Ich
kann ihn nicht wörtlich übersetzen, denn er fehlt im Holländischen Wortschatz,
also kann ich nur ahnen was gemeint ist – aber denke mir gleichzeitig, dass ja
was völlig anderes gemeint sein könnte. Besser nicht fragen und einfach
abwarten, bevor man ausgelacht wird?
Wir beginnen wieder mit Theorie, die immer wieder so
lebendig, unterhaltend und anschaulich präsentiert wird, dass ich total nicht
den Eindruck habe mit Theorie zu tun zu haben.
(Für mich) wichtige Punkte sind:
- Der individuelle Hund bestimmt die Wahl und die Intensität des Handelns des Halters.
- Sozialverhalten ist nicht nur freundlich und nett. Das Totbeissen eines anderen Hundes kann auch Sozialverhalten sein.
- Spielen mit dem Hund und Leckerlis geben hat nichts mit Bindung zu tun. Futter ist außerdem oftmals ein zu schwacher Motivator. Als Beispiel wird ein 1 ½ jähriger Rüde genannt, der andere Sachen viel interessanter findet.
- Konditionierung ist kein soziales Lernen.
- „Sanfte“ bestrafende Methoden können eine viel intensivere Auswirkung haben als eine einmalige, deutliche Unterbrechung die vom Menschen kommt (als Beispiel wird die psychisch sehr belastende Auswirkung der „Schelle“ – (Fisher-Disks) genannt).
- Beim Ignorieren von Verhalten werden verstärkende Muster (positiv und negativ), weggelassen. Das Problemverhalten, wie z.B. Bellen, wird dann erst grösser, bevor es abnimmt. Problematisch wird es, wenn man Verhalten ignoriert, bei dem es dem Hund egal ist was ich davon finde.
- Falsche Verknüpfungen, die z.B entstehen können beim Einsatz vom Stachelhalsband bei Leinenaggression, verstärken das Problem.
- Der Hund darf Fragen stellen! Zum Beispiel die Frage ob heute noch gilt was gestern gesagt ist.
- Beim praktischen Teil dieses Tages wird mir endlich deutlich was man unter Leinenführigkeit versteht. Ich kopiere Michael einmal mit meinen beiden Hunden und bin begeistert. Wow. Neben mir tänzeln zwei Podencos und gucken ganz viel hoch und fragen mich wo ich hin möchte. Ich muss mich anstrengen nicht dauernd zurückzugucken - einander die ganze Zeit anstarren, wie ich in der früheren Hundeschule gelernt hatte, ist erstens unangenehm für beide, zweitens sinnlos und drittens sehr unpraktisch im täglichen Leben.
Tag 4
Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Spaziergang und einer
Fragenstunde. Die Leinenführigkeit wird weiter besprochen und erklärt. Die
Frage der Motivation (wer ist motiviert) macht mir schlagartig klar warum meine
Hunde bis jetzt nicht leinenführig waren – ich war die Einzige die ein Problem
damit hatte und motiviert war das Problem zu lösen! Auch die Erklärung des
Problem-Lösungskonzepts leuchtet mir ein: der Hund bekommt ein Problem und
findet gleich auch die Lösung: zusammen laufen wir entspannt und in guter
Stimmung und es ist toll bei mir zu sein.
Nachmittags arbeiten wir am Sitz und Platz. Wieder wird der
Nachdruck gelegt auf die Unterschiede zwischen Anlernen und Abfordern.
Rassetypische Unterschiede im Lernverhalten werden besprochen und ebenfalls
lerntheoretische Regeln. Das häusliche Programm, vor allem die Reduzierung der
Wichtigkeit des Hundes bevor man mit einem Training beginnt, wird besprochen.
Abends, zurück auf dem Campingplatz, übe ich nochmal mit
beiden Hunden. Ganz schnell schiessen beide jetzt ins Platz und sowohl die
Hunde als ich sind sehr beeindruckt. Und glücklich. So harmonisch waren wir noch
nie zusammen, das haben alle Leckerlis und Quitschis und
mit-hoher-Stimme-zirzen nicht geschafft...
Tag 5
Dieser Tag ist dem Thema ‚soziales Management’ gewidmet.
Vormittags wird die Kommunikation Mensch-Hund besprochen. Watzlawicks
Kommunikationsregeln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kommunikation und
die daraus entstehenden Störungen werden erklärt.
Worum geht es bei sozialem Management: wiederum nicht ums
anlernen, um Konditionieren und Trainieren, sondern um die Situationen in denen
der Hund, der das gefragte bereits gelernt hat, sich weigert es zu tun. Alle Teilnehmer waren schon in der
Hundeschule, manche in vielen, manche schon jahrelang. Jahre, in denen
trainiert wurde. Es gab keinen einzigen Hund der nicht formal gelernt hatte was
Sitz, Platz und Fuss bedeutete. Beinah keiner hat es aber gemacht, wenn er
freundlich dazu aufgefordert wurde. Verweigerung etwas gelerntem ist eine Frage
die der Hund stellt, über die sozialen Verhältnisse: kann ich mir erlauben
etwas nicht zu tun, wenn du es sagst? Wichtig beim Handeln ist die
Verhältnismässigkeit. Die Reaktion des Hundes bestimmt unsere Reaktion. Angst
vor Liebesverlust spielt oft eine grosse Rolle, wenn nicht gehandelt wird.
Handlungsfreiheit fehlt, ausser dem geben von Leckerlis darf man nichts mehr am
Hund machen und das unmittelbare, ‚aus dem Bauch hinaus’ Handeln haben wir
verlernt. Wir haben andauernd Angst etwas falsch zu machen.
Die Funktion von Konflikten wird erklärt: es geht nicht um
das Ziehen an der Leine oder darum, dass der Hund sich hinlegt sondern um den
Konflikt den der Hund angeht. Diesen Konflikt kann man benutzen um Beziehungsfragen
zu klären – was nicht geht wenn man dem Konflikt immer aus dem Wege geht.
Draussen wird wieder geübt: eine Picknicksituation mit
Wurst, wobei ich den Hund davon abhalten soll die Wurst zu nehmen oder die
picknickenden Menschen zu stören, ohne dass ich gezwungen bin selbst mit
Taschen voll Fleischwurst spazieren zu gehen. Das letztere war nicht so
schwierig - für eine Podenca die
sich unangeleint im Bayrischen Wald befindet – aber sogar Labradore lernten ganz
schnell, dass man sich auch mal zusammenreißen kann und die Welt trotzdem nicht
vergeht.
Tag 6
Am Vormittag wird weiter über Kommunikation gesprochen und
werden Anwendungen / Praxis des sozialen Managements Zuhause erklärt.
Nachmittags wird die Orientierung im Freilauf und das Unterbrechen von unerwünschtem
Verhalten geübt. Erklärt und demonstriert wird ausserdem das Eintrainieren und
der Gebrauch von den Fisher-Disks und dem Master Plus Gerät.
Tag 7
Am Vormittag wird das Unterbrechen von ungewünschtem
Verhalten erklärt und demonstriert mit Videoaufnahmen. Der Nachmittag handelt
über Jagen/Spielen. Dabei werden die Jagdsequenzen erklärt, wird eingegangen
auf Rassenunterschiede und werden Hilfsmittel besprochen. Ein Stromgerät** wird
demonstriert und erklärt, weil die Realität eines Hundetrainers bedeutet, dass
man damit, oder mit Fragen darüber, konfrontiert wird. Wer will kann es auf
sich selbst ausprobieren.
Merkwürdigerweise habe ich von diesem Tag beinah nichts
aufgezeichnet – obwohl dieses Thema mir, mit meinem extrem jagenden Hund, doch
sehr nahe am Herzen gelegen haben muss. Vielleicht war ich ja aber noch nicht
in der Lage etwas zu ändern und wollte ich mich darum nicht so intensiv mit
diesem Thema auseinandersetzen?
Auch in dieser Beziehung nehme ich wieder den Hut ab vor
Nadin und Michael, die mir total nichts aufdrängten im Sinne von „da müsste man
doch mal was dran tun“ und stoïsch dabei blieben ich hätte einen tollen Hund!
Tag 8
Das Tagesthema ist Aggression und Spiel. Am Vormittag sind
wir im Tierpark. Besprochen wird, im Anschluss an den gestrigen Tag, das Spiel
in Kombination mit Jagen und Aggression. Auch wird über Welpenerziehung
gesprochen, konret über genetisch bestimmte Verhaltensweisen, die nicht
gefördert sondern eher gehemmt werden sollten.
Am Nachmittag ist das Thema Gebrauchshunde. Dabei bekommt
der Bordercollie viel Aufmerksamkeit. Die Art einer sinnvollen Beschäftigung
ist wichtig. Agility kann diese Hunde super neurotisch machen, vor allem wenn
der Ball als Motivator benutzt wird – jeder Bewegungsreiz ist kontraproduktiv
bei diesen Hunden. Futter ist schon besser. Doggydancing ist besser als
Agility. Sucharbeit, spazierengehen, ruhige Beschäftigungsformen werden
angeraten. Border Collies arbeiten nicht den ganzen Tag, auch nicht wenn sie an
Schafen arbeiten. Erst müssen sie lernen Frustration zu vertragen. Wenn so ein
Hund gelernt hat um entspannt zu sein während der Reiz (zB Schafe) anwesend
ist, kann man mit ihm arbeiten. Aktionsspiele sind bei diesen Rassen oftmals
ebenfalls kontraproduktiv. Den Hund nicht hochfahren – denn man hat die grösste
Mühe ihn wieder herunterzufahren. Konzentrationsübungen und Suchspiele oder
Nasenarbeit sind hier sinnvoller.
Alle Gebrauchshunde sind gezüchtet auf einen hohen
Beutetrieb, um den Hund schneller und alerter zu machen. Das sorgt für viele
Probleme wenn diese Hunde in unserem sozialen Umfeld mit uns zusammenleben. Ein
kleiner Reiz kann ausreichen um ‚den Knopf umzudrehen’: Das Baby wird zur
Beute. Ballspiel und Spiele mit Stöcken sind immer beutemotiviert. Tötliche
Unfälle, wobei Kinder von Hunden angegriffen werden, sind in der Regel
beutemotiviert und beinah nie statusmotiviert. Unreflektiertes Ballspiel ist
darum gefährlich.
Oft wird aus Zeitmangel der Ball geworfen, weil der Hund
dann ‚schön müde ist’. Diesen Menschen wird geraten: lauf lieber drei Stunden
mit dienem Hund oder schaff dir keinen Hund an wenn du nicht mit ihm laufen
willst.
Schliesslich gibt es auch noch eine Clickerdemonstration,
wobei wieder der Nachdruck darauf liegt, dass der Clicker dazu da ist um dem
Hund etwas beizubringen, die Erziehung aber an erster Stelle kommen muss.
Tag 9
Das Begräbnis der Quitschi als Symbol der Zentralbespassung.
Der Rückblick auf das Praktikum – haben sich die Erwartungen erfüllt?
Was habe ich gelernt – was hat sich verändert:
- Die wichtigste Veränderung die sich in meinem Denken vollzogen hat, ist dass ich eine Hemmschwelle überwunden habe, die verhinderte dass ich etwas von meinem Hund abfordern konnte. Vor allem von Lucy, der „armen Spanierin die ja so sensibel ist“, hatte ich noch nie etwas eingefordert oder sie einfach nur begrenzt. Sie sollte es ja gut haben bei mir! Das Resultat davon war: ein frustrierter Mensch und einen Hund den man nirgends ableinen kann. Für einen Podenco nicht gerade ein tolles Leben. Mit der Überwindung dieser Schwelle erfuhr ich eine enorme Erleichterung. Es ist OK wenn ich ihr Grenzen stelle und – sehr wichtig – ich (meine Bedürfnisse) zähle auch!
- Ich stelle fest dass ich auch noch Vieles sein lassen muss. Zum Beispiel die Zentralbespassung. Wieder eine Frage der Verantwortung: ich bin nicht verantwortlich oder angestellt um meine Hunde zu bespassen. Noch abgesehen davon: meine Hunde fragen nicht danach bespasst zu werden. Das einzige was ich damit mache ist, mein Gewissen beruhigen. Zum Beispiel weil ich eigentlich finde, dass gerade so ein lauffreudiger Hund wie ein Podenco sein Leben nicht ausschliesslich an der Leine führen sollte. Wie soll sie aber jemals auf mich hören wenn für sie Wichtiges unseren Weg kreuzt, sie aber in ganz einfachen Situationen nicht gelernt hat, dass Muttern meint was sie sagt?
- Die andere Seite muss es auch geben, den entspannten Kontakt, streicheln, kuscheln usw. Je klarer die Grenzen sind, je besser die Stimmung in der wir zusammen sind, je größer die Freiheit die ich meinen Hunden geben kann. Gute Stimmung und viel Freiheit sind das größte Geschenk, in jeder Beziehung, in jeder Partnerschaft.
- Ich habe mehr Selbstvertrauen im Umgang mit meinen Hunden, aber auch mehr Vertrauen in meine Hunde.
- Ich habe weniger dass Gefühl dass nur meine Hunde Spass haben müssen, dafür mehr das Gefühl dass wir Spass haben sollen.
- Ich stehe nicht mehr so oft hilflos da, wenn meine Hunde etwas tun was ich nicht möchte, oder nicht tun was ich möchte – ich bin handlungsfähiger geworden.
- Ich habe nicht mehr die Angst, dass die Hunde mich nicht mehr lieben, wenn ich sie begrenze.
- Ich kann mit Lucy an der Leine laufen ohne mich schuldig zu fühlen – ich habe einen Ausblick bekommen und weiß nun, dass es einen Weg gibt um ihr mehr Freiheit geben zu können. Lucy anleinen ist etwas geworden, das JETZT noch nötig ist und nicht etwas, das ihr Leben lang so bleiben muss.
- Was mir sehr geholfen hat und ein Eyeopener für mich war, ist der ständige Vergleich von Hunden (Hundeerziehung) mit Kindern (Kindererziehung).
- Weiterhin hat mir sehr geholfen, dass Nadin und Michael so oft „toller Hund“ gesagt haben zu meinem „Problemfall“. Das hat viel Druck weggenommen und hat mir geholfen die andere Seite zu sehen, statt das Verhalten meiner Hunde nur zu verteidigen und zu entschuldigen. Es hat wieder Liebe in unsere Beziehung gebracht.
- Nadin und Michael waren (und sind) für mich die grossen Vorbilder wie man mit Menschen und ihren Hunden umgeht.
Bei den Hunden hat sich einiges im Laufe des Praktikums
verändert:
- Scotty fiept und piepst nicht mehr, wenn ich ihn irgendwo anbinde
- Lucy stellt sich nicht mehr gegen mich und kratzt
- Beide machen Platz wenn ich es sage
- Scotty fragt nachdrücklich ob er echt gehen darf wenn ich ihn ableine, oder ob er etwas echt fressen darf
- Lucy ist nicht länger als 10 Minuten weggewesen (das hat sich zwar wieder gegeben, zeigte mir aber, dass sich etwas ändern kann!)
- Lucy hat, wenn ich sie angebunden habe, die Leine nicht mehr durchgebissen
- Es ist mehr Ruhe und Entspannung in die Hunde gekommen
- Scotty bellt nicht mehr mit anderen Hunden mit, wenn er im Platz liegt
- Beide sind leinenführig.
Was ich nie vergessen werde:
- Der Spass und die gefühlte Verbundenheit
- Das rituale Begräbnis der Quitschi als Symbol der Zentralbespassung und der kommerziellen Ausbeutung des Hundes
- Die meistgestellte Frage: „ist Lucy da?“
- Das Essen im Bärenhof
- Die Ruhe der Hunde im Seminarraum – sie wurden einfach mal in Ruhe gelassen und das reichte, um auch mal die Ruhe zu finden
- Die unglaubliche Toleranz und Sorgfalt von Michael und Nadin für Hunde UND Menschen, der Blick für das Individuum jedes Hundes. Als Beispiel blieb mir bei, dass in einer Situation in der ein Spaziergänger auf die Gruppe zu kam, Michael meinte, kein Hund sollte bellen. Nur der Herdenschutzhund, der durfte.
- Der letzte Tag, an dem die Canisstudenten zu mir kamen und sagten: „wir haben beschlossen dass du Canis-Studentin werden musst“
- Die anschliessende Wanderung im Böhmerwald mit Michael Eichhorn, mit Lucy immer auf geschätzten 2 km Abstand deutlich hörbar hinter allem was lebt herhetzend
- Die anschliessenden Tage mit Michael Eichhorn, Ray Coppinger und Peter Neville
- Der Moment an dem der Anruf kam dass Erik Ziemen gestorben ist – genau in dem Moment, an dem wir die gerade ausgegrabenen Wolfswelpen im Gehege streichelten...
- Die Trauer, dass ich Erik nie kennenlernen durfte.
Marian Lamp
Juni 2007
**Anmerkung: im Protokoll steht ein Stück über Strombänder. Um
Zweifel auszuschliessen:wir haben Methoden, die es gibt, kennengelernt. Strom
ist etwas das jeder Hundetrainer kennen muss - und wenn es nur dazu dient
dagegen argumentieren zu können!!
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